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Sonntag, 3. April 2011

Zuhören, Teil II

Ein kalter Nachmittag Mitte Januar.


"Die größte Offenbarung ist die Stille." - Laotse

"Scheiße!"
Und da fährt sie an mir vorbei. Meine Bahn. Na klasse. S. wird mich erschlagen, wenn ich ihm jetzt noch eine Sms schreibe, in der schon wieder steht, dass ich 15 Minuten später komme. Verdammt. Und dabei hab ich mich so beeilt zu dieser blöden Bahn zu kommen. Bin halb um mein Leben gerannt, extra noch 'ne Abkürzung genommen. Hat aber im Endeffekt ja auch nichts gebracht. Und jetzt muss ich hier auch noch fünfzehn weitere Minuten in der Kälte stehen und mir meine Füße ab frieren und warten. So ein verdammter Mist.
Schnell hole ich mein Handy aus der Tasche und tippe die Sms an S.:

-Komme 15 Minuten später, hab die Bahn verpasst :s sorry, sorry, sorry!!-

Mein Handydisplay blinkt.
"Fuck!" Denke ich mir als ich sehe, dass der Akku kurz davor ist, den Geist aufzugeben. Hoffentlich hält er noch lange genug um mir die Antwortsms von S. zu zeigen. Mal sehen.
Ich stehe an der Bahnhaltestelle. Meine Kopfhörer habe ich vergessen, aber mit meinem Handy hätte ich jetzt eh keine Musik mehr gehört. Muss ja Akku sparen. Es ist verdammt kalt.
Meine Jacke ist zu dünn, meine Handschuhe wärmen nicht und mir läuft die Nase. Ich bin kurz vorm Durchdrehen. Was mache ich denn jetzt noch 15 Minuten lang hier? Die Autos brausen an mir vorbei. Ihre Insassen beschauen mich neugierig. Würde ich ihrer Stelle auch machen. Muss verdammt armselig aussehen, wie ich hier ganz alleine an der Haltestellen stehe. Alleine. Ich glaube, dieses Wort verfolgt mich. Ich seufze.
Das trüb-gelbe Licht der Straßenlaternen scheint auf die Straße nieder und beleuchtet sie schwach. Auf der anderen Straßenseite steht eine Kirche.


Ich habe schon länger mal mit dem Gedanken gespielt, mich einfach mal in diese Kirche zu setzen. Vielleicht eine Kerze für meinen Opa anzuzünden und einfach nur mal da zu sitzen. Einfach so. Keine Ahnung, wie ich auf diese Idee gekommen bin. Für gewöhnlich bin ich nicht sehr gläubig. Getauft bin ich nicht. Die Kirche habe ich bis jetzt nur zu fremden Konfirmationen oder einmal zu Weihnachten besucht. Das Vaterunser konnte ich noch nie auswendig und in der Schule habe ich Philosophie statt Religion. Habe mit dem Allen einfach nicht wirklich viel am Hut, auch wenn ich glaube, dass da oben noch irgendwo jemand ist, jemand sein muss. Dass wir hier unten nicht alleine sind.


Zielstrebig gehe ich auf die Ampel zu. Ich habe immer noch 10 Minuten Zeit.
Während ich warte, dass die Ampel grün wird, vibriert mein Handy. Eine Sms von S.
Klingt nicht sehr erfreut, wie schon erwartet. Aber er hat sich wohl damit abgefunden, dass ich mal wieder zu spät bin. Außerdem ist er ja auch manchmal zu spät. Ich tippe noch schnell eine "Okay, wir sehen uns dann gleich" - Sms zurück und renne über die Ampel, bevor sie wieder rot wird.
Auf der anderen Seite ragt die alte Kirche vor mir auf. In dem Schein der Laternen der Straße wirkt sie gruselig. So wie jede Kirche, meiner Meinung nach. Aber davon lasse ich mich jetzt nicht abschrecken. Bevor ich die schwere Holztür öffne, schalte ich mein Handy aus. Keine Lust auf peinlich laute Klingelgeräusche. Außerdem gehört sich das doch irgendwie so in einer Kirche, oder?
Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. In dem kleinen Vorraum ist es hell und warm. Die Straßengeräusche von draußen sind nur noch gedämpft, beinahe nicht mehr zu hören. Ich gehe weiter durch eine nächste Tür.
Dann stehe ich in der Haupthalle, in dem Kirchenschiff, so nennt man das glaube ich.
Die paar Bänke, die zum Altar gerichtet sind, sind leer. Niemand ist hier. Kerzen brennen. Ich kann die wunderschönen Bilder an der Decke sehen und bin ein wenig überwältigt. Diese Ruhe und dieser Frieden, den dieser Ort ausstrahlt, ist unglaublich. Ich gehe bis fast ganz nach vorne und setze mich in die zweite Reihe. Schnell werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Ich habe noch 7 Minuten.



Gerade noch rechtzeitig drücke ich auf den Türöffnerknopf der Bahn. Beinahe hätte ich sie schon wieder verpasst. Aber jetzt sitze ich ganz vorne auf meine Stammsitz links am Fenster. Es rattert und rumpelt um mich herum, aber ich höre das alles nicht. Ich schaue nach draußen in die Dunkelheit. Sehe Leute, die noch schnell ins nächste Geschäft hetzen, mit Tüten durch die Gegend wandern oder sich hinter ihrem Schal verstecken. Ich sehe sie und ich sehe sie nicht. In Gedanken bin ich ganz woanders.


Die Minuten in der Kirche, an diesem ruhigen, stillen Ort. Es hört sich komisch an, aber sie haben mein Leben zumindest ein wenig verändert. Ich habe so viel über Dinge nachdenken können, die mich bedrücken oder über die ich einfach nicht hinwegsehen kann. Wenn ich vorher in der Beschaulichkeit meiner vier Wände versucht habe, mir über einige Dinge klar zu werden, hat es nie funktioniert. Aber dort musste ich mich nur hinsetzen und zuhören. In die Stille, die nicht betäubend oder drückend ist, sondern erholend. Ich konnte endlich mal meinen Gedanken freien Lauf lassen und nur auf mich hören. Alles, was ich sonst verdränge oder in den hinteren Teil meines Kopfes schiebe, war da und konnte sich mir offenbaren. Mir helfen. Mir zeigen, was ich will und wer ich sein will. Wie es um mich und meine Gefühle und Gedanken steht.
Die Stille hat mich befreit. Hat meinen Kopf für einen Moment lang durchfegt und ihn von allem, was nicht mehr wichtig ist, gelöst. Sie hat dafür gesorgt, dass ich das Wesentliche wieder erkenne und mir vor Augen führen kann. Sie hat mich zu Erkenntnissen gebracht, zu denen ich niemals irgendwo anders gelangt wäre. Und das in so kurzer Zeit.
So aufgeräumt mein Kopf aber auch sein mag, manche Dinge sind einfach darin festgeklebt. Festgetakkert und unwiderruflich darin eingraviert. Die lassen sich nicht wegfegen.
Aber das ist auch gut so. Ich will ja nicht vergessen. Ich will nur einen klaren Kopf haben.
Endlich mal wieder.

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